Am 09. und 10. Oktober 2021 fand das Basiseminar "Natural Hoof Blanace - Einblick in die Funktionalität und Leistungsfähigkeit des Hufes" auf dem Gnadenhof "Animal Hope e.V" statt. Am Samstag vertieften wir uns in der Theorie in das innere der Hufkaspel und erörterten gemeinsam die Entstehung von Wandverbiegungen, untergeschobenen Trachten und langer Zehe, mediolateraler Imbalancen und deren Auswirkungen auf den Huf und das Pferd.
Am Sonntag ging es dann an die Praxis am Huf. Bereits bei der Vorführung der Bearbeitung eines Hufes mit Trachten- und Strahlzwang und hohen Trachten- und Eckstrebenwänden konnten die Seminarteilnehmer*innen beobachten, wie schnell sich der hintere Hufbereich entspannt und ein Stück weiten kann, wenn die hohen Eckstrebenwände soweit eingekürzt werden, wie der Huf es anzeigt.
Trachten- und Ballenbereich links im Bild zeigt direkt nach Einkürzen der hohen Trachten und Eckstrebenwände eine Entspannung und Weitung
Bevor es an die Bearbeitung der Tothufe ging, zeigte ich den Teilnehmer*innen, wie man ein Pferd "sanft hält" und wir übten gemeinsam, wie man den Huf aufnimmt und durch einen stabilen, entspannten Stand dem Pferd Ruhe und eine gute Balance vermittelt.
Danach machten sich die Teilnehmer*innen selbstständig an die Hufbearbeitung. Sie konnten alle sehr schnell den Huf "lesen" und die gezeigten Arbeitstechniken umsetzen.


Beim Sezieren eines Tothufes eröffnete sich für uns ein weiterer tiefer Blick in den Huf. Die Hufkapsel zeigte hohe Trachten- und Eckstrebenwände, ein hohe Seitenwand und eine Steilstellung des Hufes auf den Zehenbereich.
Nach entfernen der Sohle war zu sehen, wie stark das Strahlpolster durch die hohen Eckstrebenwände zusammengequetscht wurde. Die Strahllederhaut wurde dadurch ebenfalls nicht mehr ausreichend durchblutet.

Die hohen Eckstrebenwände hebelten das weiche Gewebe des Strahlpolsters nach innen und schränkten den Hufmechanismus im hinteren Hufbereich ein (erkennbar an den gezerrten Lamellen der Eckstrebenlederhaut), was eine Zwanghufbildung nach sich zieht.

Hohe (zu lange) Eckstreben(wände) können sich nicht ausreichend abnutzen und hebeln nach innen in das weiche Strahl- und Ballenpolster.
Auch das Ballengewebe wurde nach oben gehebelt und zusammengequetscht, so dass es zu einem tiefen Riss der mittleren Strahlfurche in die Ballenregion hinein kam.

Dieses Aufreißen entsteht, da bei einem Zwanghuf der Hufmechanismus im hinteren Hufbereich kaum mehr möglich ist. Hohe Eckstrebenwände erhöhen die Spannungen auf den hinteren Hufbereich und die Hufkapsel "platzt" auf. Für das Pferd nicht angenehm, da es (vor allem bei Bodenunebenheiten) zu Scherkräften im Trachtenbereich kommt, die das Gewebe weiter reizen.
Durch die schlechtere Durchblutung der Strahllederhaut und der tiefen mittleren Strahlfurche kommt es automatisch zu Strahlfäule. Diese lässt sich nicht durch diverse Strahlfäulemittel beheben, sondern nur durch eine dem Huf entsprechende Hufbearbeitung, die darauf abzielt, dass der Huf sich im hinteren Bereich wieder öffnen kann.

Durch konsequentes zurückschneiden der zu hohen Eckstrebenwände, einkürzen der zu hohen Trachten- und Seitenwände und der schonenden Bearbeitung des Strahles entsteht im hinteren Hufbereich eine für Huf und Pferd wichtige Auflagefläche. Zudem wird die Unterstützungsfläche der Trachte zurückgesetzt, so das der Huf das Fesselgelenk und die Gliedmaße des Pferdes wieder effektiver unterstützen kann.
Dies führt auch dazu, dass der Hufmechanismus im hinteren Hufbereich wieder möglich wird. Der Strahl erhält Bodenkontakt und der Huf kann sich so nach und nach wieder weiten. Das hochgequetschte Strahl- und Ballenpolster erhält wieder die Möglichkeit, nach unten zu kommen und seine Funktionalität wieder aufzunehmen. Die Durchblutung verbessert sich, die Strahlfäule heilt ab und der Huf entwickelt sich immer mehr in Richtung Normalität.
Bedingt durch die Steilstellung dieses Hufes entstand eine Nekrose (Absterben von Gewebe) der Zehenlederhaut. Diese ist auf die Ischämie (pathologisch verminderte oder aufgehobene Durchblutung eines Gewebes infolge mangelnder arterieller Zufuhr von Blut) der Zehenlederhaut aufgrund der hohen Trachten- und Eckstrebenwände zurückzuführen, die das Hufbein aus seiner bodenparallelen Lage hebeln. Dabei sinkt das Hufbein in die Sohle hinein ab (Hufbeinsenkung). Die Lederhaut im betroffenen Bereich wird nach oben abgequetscht. In diesem Bereich befindet sich der umlaufende Arterienbogen, der für die Blut- und Nährstoffversorgung der Lederhaut zuständig ist.
Im Trachtenbereich sind durch die untergeschobenen Trachten das Gewebe und die Lederhautlamellen nach vorne gequetscht worden. Das Pferd steht in einer "zu engen Hufkapsel", die das lebende Gewebe zusammen und nach vorne presst.
Wer einen Huf solchermaßen in eine Steilstellung zwingt, sorgt dafür, dass es neben der Zerstörung von Gewebe und Imbalancen im Huf zu Fehlbelastungen der Gelenke, Sehnen, Bänder, der Muskulatur und Kompensationshaltungen des Pferdes kommt.
Der Hufbearbeiter, der immer noch glaubt,
dass Eckstrebenwände sich von alleine abnutzen,
dass man Trachten nicht bearbeiten darf, weil sonst der Winkel des Hufes "zu flach" wird
dass der Strahl keinen Bodenkontakt braucht und "hübsch und sauber" zurückgeschnitten werden muss
dass der hintere Hufbereich in irgendeiner Form Entlastung erfährt, wenn man die Zehenwand abstreckt, ohne den hinteren Hufbereich zu bearbeiten (so richten sich die Huflederhautlamellen im Trachtenbereich genauso wenig auf wie sich Hornrörchen aufrichten)
dass das Zurechtstutzen des Hufes in eine schön anzusehende Form einen Nutzen für den Huf und das Pferd hat
der arbeitet nach Denkansätzen, die weiterhin (offiziell anerkannt) zur Zerstörung von Gewebe und Funktionalität des Hufes führen.
Wir Hufbearbeiter sind mit unserer Bearbeitung mit dafür verantwortlich, dass das Pferd Gesund erhalten wird.
Doch leider ist immer noch das Gegenteil der Fall. Es kommt nach wie vor zu unzähligen, regelrechten Verstümmelungen des Hufes, die Auswirkungen auf die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer des Pferdes haben.
©Manu Volk
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