Das Überleben des Pferdes in der freien Wildbahn ist davon abhängig, bei Gefahr schnell zu fliehen – von Geburt an. Da Raubtiere von der Nachgeburt angezogen werden, ist die Stute bemüht, den Geburtsort schnellstmöglich zu verlassen. Das Fohlen wird dazu angeregt, aufzustehen und schon vor dem ersten Säugen mit der Mutter Schritt zu halten. Es bewegt sich anfangs auf wackeligen Beinen und stolpernd vorwärts, wobei es wiederholt hinfällt und wieder aufsteht, um der Stute zu folgen.
Dieses frühe Bewegen und Laufen hat für das Fohlen viele Vorteile: es trägt zur Entwicklung des geistigen Bewusstseins, der Muskelkoordination, der Anordnung des Rückrates sowie der Ausbildung der Sinnesempfänger und des Hufes bei.
Die frühe Aktivität ist wichtig für die Muskulatur und die Skelettanordnung. Auch die Hufe erfahren hierbei viele wichtige Impulse. Fohlen werden mit einer sehr weichen, strahlähnlichen Struktur (sogenannte „Fohlenkappe“) geboren, die den Huf vollständig bedeckt. Diese Struktur dient dazu, die Stute während des Geburtsvorgangs vor inneren Verletzungen zu schützen. Sobald das Fohlen steht und sich bewegt, wird diese Struktur zerfetzt und abgestoßen.
Sohlenansicht Embryo-Huf
Der Strahl bedeckt einen sehr großen Teil der Sohlenfläche des neugeborenen Hufes, während das Strahl- und Ballenpolster noch sehr schwach ausgeprägt ist. Anfangs muss der Strahl die Aufgabe übernehmen, die Knochensäule zu unterstützen.
Der Fohlenhuf ist bei der Geburt am Tragrand physiologisch enger als am Kronrand und hat einen sehr weichen und fast runden Aufbau. So wird vermieden, dass der Innenleib der Stute verletzt wird, wenn das Fohlen sich dreht, bewegt und mit den Füßen stößt. Das Fohlen kommt also mit einem „verdrehten“ Huf auf die Welt. Daher ist die frühe und ausreichende Bewegung auf nicht zu weichem Untergrund so wichtig, da der Huf nach der Geburt noch sehr weich und formbar ist. Der Strahl braucht die frühzeitige Bewegung auf hartem Boden, damit er wachsen und dabei die Trachten weiten kann. So wird auch dem Hufbein mehr Raum zur Entwicklung gegeben.
Dr. Robert Bowker (Michigan State University) hat festgestellt, dass die Vorder- und Hinterhufbeine von neugeborenen Fohlen identisch in der Form und dem Gewicht sind. Durch das Körpergewicht des Fohlens in der Bewegung beginnen die Hufbeine der Vorhand sich mehr und mehr in die runde Form umzugestalten. Beobachtungen haben gezeigt, dass der Strahl von höchster Bedeutung für die optimale Entwicklung der Hufbeinknochen, des Strahl- und Ballenpolsters und damit der letztendlichen Größe, Form und Qualität des Hufes ist.
Fohlen, die unter der Aufsicht und Obhut des Menschen geboren werden und aufwachsen, leiden von Geburt an meistens unter großem Bewegungsmangel. Der Züchter packt bereits die Stute bei der Geburt in eine „weich“ eingestreute Box, in der das Fohlen dann seine ersten Schritte macht. Meist verbleiben Mutterstute und Fohlen die ersten Tage in der Box, um das Fohlen zu „schützen“. Erst dann erhält das Fohlen die Gelegenheit, sich auf hartem Untergrund zu bewegen. So werden bereits viele frühzeitige Entwicklungsmöglichkeiten für das Skelett- und Muskelsystem, den Sehnen- und Bandapparat und eine gesunde Entwicklung eines optimalen Hufes versäumt.
Die noch weiche Hufwand wächst in der tiefen Stroheinstreu über die Sohle hinaus (Wandüberstand).
Der Strahl hat weder Bodenkontakt noch ausreichend Gegendruck und atrophiert. Die Hufwand trocknet aus und zieht sich zusammen, was die Entwicklung des Hufbeinknochens einschränkt. Die Trachten und die Hufkapsel ziehen sich zusammen anstatt sich zu weiten, was zu einem frühzeitigen Trachtenzwanghuf führt. Sobald die Hufkapsel ausgehärtet ist, wird der Hufbeinknochen eingeschränkt und kann sich nicht zu seinem vollen Potential entwickeln.
Zudem steht das Fohlen in Ermangelung ausreichender Bewegungsmöglichkeit in der weichen Boxeneinstreu vermehrt mit überstreckter Zehenendgliedmaße. Die Sohle im Zehenbereich des kleinen Hufes erfährt einen vermehrten Druck, die Eckstreben wuchern in die Höhe und die Trachten rollen sich vermehrt nach innen…
vernachlässigter Fohlenhuf, Fohlen ca. 7 Monate alt
… die Trachten schieben bereits in diesem Alter unter, die Zehe schnabelt nach vorne weg, um das statische Gleichgewicht des Hufes aufrecht zu erhalten.
Die viel zu hohen Eckstreben hebeln nach innen in das noch wenig ausgeprägte und weiche Strahl- und Ballenpolster. Mit gerade mal sieben Monaten kommt es dadurch bereits zum Sohlenzwanghuf und zur Rotation des Hufbeines (Fehlbelastungen sämtlicher Gelenkabschnitte im unteren Gliedmaßenbereich eingeschlossen).
Die Hornblättchen des Hufbeinträgers im Zehenbereich sind hier schon deutlich verändert und geschädigt, die Sohle ist im Zehenbereich leicht abgesunken – im Alter von sieben Monaten wegen Vernachlässigung der Hufpflege!!!
Auch diese Fohlenhufkapsel zeigt einen hohen Wandüberstand. Die Hufkapsel ist schräg nach vorne gewachsen, was die Trachten (untergeschoben) und die Zehewand/Hufsohle im Hufwachstum nach vorne zieht. Die Eckstreben sind überlang und hebeln auch hier die Sohle nach innen.
*tatsächliche Trachtenhöhe
**tatsächliche Höhe der Eckstreben
Nach vorne wachsende Fohlenhufkapsel mit bereits untergeschobenen Trachten und nach vorne gezogener Zehenwand
linke Hufhälfte bearbeitet, Trachten zurückgesetzt
Die Trachte hat nun nach der Natural-Hoof-Balance-Bearbeitung wieder eine stützende Auflagefläche, der Strahl bekommt Bodenkontakt. Der Abrollpunkt wurde durch Einkürzen des überschüssigen Hornmateriales zurückgesetzt (man kann die bereits leicht überdehnte weiße Linie im Zehenbereich erkennen), und durch Entfernen des Wandüberstandes wurden alle Hebelkräfte, die den Zusammenhalt des Hufbeinträgers schädigen, beseitigt.
Seitenansicht unbearbeitete Hufhälfte: Trachten untergeschoben und ohne stützende Funktion. Kronrand durch den Druck der zu langen Seitenwand nach oben aufgewölbt.Zehe und damit Abrollpunkt nach vorne gezogen
Seitenansicht bearbeitete Hufhälfte: der Wachstum wird nicht mehr schräg nach vorne gezogen, der Kronrand ist entspannt und fällt sanft nach hinten ab. Die zurückgesetzte Trachte gibt der hinteren Hufhälfte mehr Auflagefläche. Die Trachte kann durch die vergrößerte Auflage die Fessel und die gesamte Gliedmaße besser stützen und unterstützen.
Der Knochenwachstum
Während der Trächtigkeit wird das Skelett zuerst rein knorpelig angesetzt, ab ca. der 9. Trächtigkeitswoche beginnt die Verknöcherung.
Das Skelett des neugeborenen Fohlens (Fluchttier) entspricht in der Entwicklung der eines Menschen in der Pubertät (12.-17.Lebensjahr).
Es wird das Dicken- und das Längenwachstum unterschieden. Das Dickenwachstum findet bis zur vollständigen Ausreifung des Skeletts statt (5.-7. Lebensjahr). Das Längenwachstum vollzieht sich in bestimmten Wachstumsfugen des Knochens, die sich an dessen Enden in Gelenksnähe befinden. Diese sogenannten Epiphysenfugen sind rein knorpelig angelegt.
Das Wachstum ist mit der vollständigen Ossifikation (vollständige Schließung der Epiphysenfugen) beendet.
An den unteren Knochen der Gliedmaßen findet der Ephiphysenschluss früher statt als an den oberen (Kronbein ca. 7-12 Monate, Fesselbein ca. 12 Monate, Röhrbein ca. 6 Monate). Die genaueren Zeitpunkte schwanken individuell.
noch nicht geschlossene Ephiphysenfuge Fesselbein
Eventuell notwendige Korrekturen auftretender Fehlstellungen sollten also in den ersten 18 Lebensmonaten erfolgen. Ungleichmäßiger Wachstum im Bereich der Epiphysenfugen kann zu Gliedmaßenfehlstellungen führen. Gerade deshalb ist es wichtig, die Fohlenhufe von Anfang an zu beobachten.
Fohlen, denen die ausreichende Bewegung fehlt, sollte man im zweiwöchigen Rhythmus die Hufe kontrollieren, um sie dann bei Bedarf zu bearbeiten und korrigieren. Es ist darauf zu achten, dass der Strahl ausreichend Bodenkontakt hat und sich entwickelt.
Der Mensch sollte sich der Aufgabe bewusst sein, dass er die Verantwortung für ein junges, sich in der Entwicklung befindliches Wesen übernommen hat! Als Besitzer und Hufexperten halten wir die Gesundheit des Hufes bereits von Anfang an in unseren Händen!!
Wenn wir uns ALLE dessen bewusst sind und wir danach handeln , wird es in der Zukunft nicht mehr nötig sein, dass das heranwachsende Pferd beim Start in sein Leben als Reit- und Sportpferd bereits dreijährig oder noch früher beschlagen werden muss/soll!! An der Hufbearbeitung des Fohlens zu knausern ist im wahrsten Sinne des Wortes am falschen Ende gespart. Wir haben es in der Hand – für eine Zukunft, auf denen Pferde sich auf leistungsfähigen Hufen und gesunden Gliedmaßen bewegen können!
©Manu Volk
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